Der Traum eines jeden Startups ist es, eine überzeugende Idee zu haben, eine Finanzierung durch Business Angels oder Risikokapital- und Private-Equity-Firmen zu erhalten, ihr Produkt auf den Markt zu bringen und einen Exit in Millionenhöhe zu erzielen. Doch auf diesem Weg zum Erfolg müssen Startups meist eine Cash-Burn-Phase durchlaufen, in der sie häufig von einer Finanzierungsrunde zur anderen durchhalten müssen. Die Zeit bis zum vollständigen Verbrauch der Finanzmittel eines Startups wird als “Runway” bezeichnet.
Wir sind davon überzeugt, dass Startups trotz der derzeit unsicheren Zeiten weiterhin wachsen werden. Sollte ein Startup scheitern oder kurz davor sein, ist es für die Geschäftsführer von Startups essentiell, ihre Pflichten zu kennen und in der Lage zu sein, sie im Interesse des Startups, der Aktionäre und der Gläubiger einzuhalten.
Im Folgenden geben wir daher einige praktische Ratschläge, die dabei helfen sollen, das Startup wieder auf den richtigen Weg zu bringen oder im Notfall den drohenden Schaden zu mindern.
Wir möchten davor darauf hinweisen, dass am 1. Januar 2023 neue gesetzliche Bestimmungen zu diesem Thema in Kraft treten werden. Diese werden unsere Tipps nicht wesentlich beeinflussen, aber die Pflicht des Verwaltungsrats erhöhen, frühzeitig Vorsicht walten zu lassen.
Allgemeine Hinweise
Der Verwaltungsrat hat generell die Pflicht, die finanzielle Situation des Unternehmens zu beobachten und zu kontrollieren.
Wir raten Gründern zu regelmässigen Sitzungen oder schriftlichen Besprechungen (auch per E-Mail, am besten monatlich), um dies zu dokumentieren.
Der Verwaltungsrat sollte insbesondere auf frühe Warnzeichen achten, die auf eine finanzielle Schieflage oder Überschuldung des Unternehmens hinweisen könnten. Bei einem Startup in der Cash-Burn-Phase bedeutet das vor allem, die Dauer der Anlaufphase des Unternehmens fortlaufend zu evaluieren und, wo nötig und möglich, die Kostenstruktur entsprechend anzupassen.
Um eine persönliche Haftung (zivil- und gegebenenfalls strafrechtlich) zu vermeiden, sollte der Verwaltungsrat:
- keine einzelnen Gläubiger gegenüber anderen bevorzugen; und
- besonders darauf achten, dass Gehälter, Sozialbeiträge und Quellensteuern regelmässig und pünktlich gezahlt werden.
- Besonders bei Startups, die bereits Produkte auf dem Markt haben, sollte der Fokus auf dem Cashflow liegen. Es ist wichtig, den Zahlungszyklus zu verkürzen und die Schulden zu optimieren, um eine Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden.
Kapitalverlust
Ausgangslage: Vereinfacht gesagt, befindet sich ein Unternehmen in einer Situation des Kapitalverlustes, wenn seine Vermögenswerte nicht ausreichen, um seine Schulden und die Hälfte seines Eigenkapitals zu decken. Nachrangige Verbindlichkeiten werden bei dieser Berechnung nicht berücksichtigt.
Besondere Pflichten:
- Theoretisch sollte der Verwaltungsrat Zwischenbilanzen erstellen, wenn er einen Kapitalverlust vermutet. Sollte sich dieser Verdacht bestätigen, muss der Verwaltungsrat laut Gesetz eine Generalversammlung einberufen und Massnahmen zur Behebung der Situation vorschlagen.
- In der Praxis ist es schwierig, den tatsächlichen Zeitpunkt des Kapitalverlusts zu ermitteln, und viele der möglichen Massnahmen liegen in der Zuständigkeit des Verwaltungsrats. Daher ist die Verpflichtung zur Einberufung einer Generalversammlung eher unklar.
- Konkret raten wir den Verwaltungsräten, die Situation im Auge zu behalten und ihre Sichtweise und die ergriffenen Massnahmen zu dokumentieren, wenn sich ein Kapitalverlust abzeichnet.
Beispiele für konkrete Massnahmen, die ergriffen werden können:
- Verschlankung des Geschäftsergebnisses: Der Verwaltungsrat kann Massnahmen zur Senkung der Kostenstruktur des Unternehmens ergreifen, die die Gesamtsituation positiv beeinflussen (z. B. Kündigung von Mitarbeitern).
- Steigerung des Umsatzes: Eine Steigerung des Umsatzes wird die Situation des Unternehmens verbessern. Dies ist jedoch bei Startups in der Regel nicht so einfach möglich, da sich die meisten von ihnen in einer Cash-Burning-Phase befinden.
Rangrücktrittserklärungen:
- In der Praxis kann der Verwaltungsrat von den Gläubigern des Unternehmens Rangrücktrittserklärungen verlangen, um das Unternehmen aus seiner Verlustsituation herauszuholen.
- Vor allem bei Startups ist diese Massnahme weit verbreitet, da diese Unternehmen in der Regel gegenüber ihren eigenen Aktionären verschuldet sind.
Beschaffung von Finanzmitteln:
- Die Durchführung einer Finanzierungsrunde führt in der Regel zu einer Verbesserung der Situation und ist daher die bestmögliche Massnahme, um aus der Verlustsituation herauszukommen.
- Auch die Aufnahme einer Wandelfinanzierung ist sinnvoll, sofern die Forderungen der Darlehensgeber nachrangig sind. In der Praxis werden die Wandeldarlehen genau aus diesem Grund nachrangig behandelt.
Überschuldung
Ausgangslage: Ein Unternehmen ist überschuldet, wenn sein Vermögen nicht ausreicht, um die Schulden zu decken. Nachrangige Verbindlichkeiten werden bei dieser Berechnung nicht berücksichtigt. In den meisten Fällen bedeutet dies “Game Over”.
Besondere Pflichten:
- Wenn der Verwaltungsrat eine Überschuldung vermutet, muss er zwei Arten von Zwischenbilanzen erstellen und prüfen, nämlich (i) eine Fortführungsbilanz und (ii) eine Liquidationsbilanz. Bei der Fortführungsbilanz werden die Aktiva und Passiva im Hinblick auf die Fortführung der Unternehmenstätigkeit bewertet, während bei der Liquidationsbilanz der realisierbare Wert der Aktiva und in der Regel auch etwaige stille Reserven in der Bilanz ausgewiesen werden.
- Sollte die Überschuldung bei beiden Bewertungen bestätigt werden, muss der Verwaltungsrat:
Die Überschuldung dem Richter melden, welcher dann:
- das Unternehmen im Grunde auflöst und das Konkursverfahren eröffnet; oder
- bei Vorliegen konkreter Verbesserungsperspektiven und auf Antrag ein Nachlassstundung (Aufschub der Zahlung von Schulden oder Verpflichtungen) anordnen kann, die zu einer Umstrukturierung der Schulden führen kann (Teilerlass der Schulden, der bei Vorliegen bestimmter Gläubigermehrheiten angeordnet werden kann).
Zahlungsunfähigkeit
Ausgangslage: Das Unternehmen kann seine Gläubiger über einen längeren Zeitraum nicht pünktlich bezahlen. Diese Situation ist insbesondere dann gegeben, wenn wiederkehrende Gläubiger nicht bezahlt werden können (Miete, Sozialversicherungen, Gehalt).
Bei Startups (in der Cash-Burn-Phase) bedeutet dies in der Regel das Erreichen des Endes des “Runways”. Es lässt sich daher ziemlich genau vorhersagen und sollte eingeplant werden.
Besondere Pflichten:
- Die Generalversammlung (in notarieller Form) hat die Möglichkeit, das Unternehmen aufzulösen und den Konkurs beim Richter anzumelden, damit das Konkursverfahren eröffnet werden kann.
- Sollte der Verwaltungsrat beschliessen, keine Generalversammlung zu diesem Zweck einzuberufen, könnte dies zu einer persönlichen Haftung des Verwaltungsrats führen.
Konsequenzen, wenn der Verwaltungsrat seinen Pflichten nicht nachkommt
- Verstösse gegen die Pflichten des Verwaltungsrats können eine persönliche zivilrechtliche Haftung der Verwaltungsratsmitglieder auslösen, die im Rahmen des Konkursverfahrens auf die Gläubiger übertragen werden kann. Die Mitglieder des Verwaltungsrats können für die Schulden haftbar gemacht werden, die nach dem Zeitpunkt entstanden sind, zu dem der Verwaltungsrat erkennen hätte müssen, dass er keine weiteren Schulden verursachen darf.
- Eine verspätete Bekanntgabe der Überschuldung oder übermässig risikoreiche Entscheidungen stellen ebenfalls einen Straftatbestand dar (mit einer Strafdrohung von bis zu 5 Jahren).
Die Schnelligkeit, mit der Startups wachsen können, bedeutet, dass diese auch dazu neigen, ihre Barmittel schnell zu verbrauchen. Dies kann dazu führen, dass sich das Unternehmen dem Ende des “Runways” nähert. Allerdings können die Kontrolle durch den Verwaltungsrat und die richtigen Massnahmen, wie sie hier beschrieben wurden, den entscheidenden Unterschied ausmachen. Wir hoffen, dass du, wenn du dich dem Ende des “Runways” näherst, abhebst und die zuvor erwähnten Massnahmen nicht ergreifen musst.